Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Heft-Archiv >> 2018 >> Publisher 6-18 >> Publishing >> Schnell, kreativ, �berall

Schnell, kreativ, �berall

Zurück in Los Angeles, lud Adobe Mitte Oktober zum obligaten Mega-Event im Bereich Digital Media. Von längst fälligen Funktionen bis hin zu zukunftsweisenden Innovationen hat die Adobe MAX allerhand Neues hervorgebracht.

Joely TafanaloNun ist sie bereits wieder Geschichte, die grosse, alljährliche Konferenz im Namen von Kreativität und Inspiration. Nach Las Vegas war nun wieder Los ­Angeles «the place to be» für Kreative aus aller Welt. Neben zahlreichen Sessions, Workshops und Labs wurden vor allem die Neuerungen in und um die Creative Cloud 2019 mit einiger Spannung erwartet. Für die fünf Tage geistert eine ­offizielle Besucherzahl von total 14 000 herum.

Der erste Streich

Vor der eigentlichen MAX fand traditionell die Preconference mit ihren ­Fokus-Workshops von Photoshop bis XD statt. Für den Autor standen jedoch das Anpassen an Zeit und Klima sowie Gesprächstreffen mit den Produktteams im Vordergrund.

Am Montag ging es dann mit der ­General Session 1 so richtig los. Im Los Angeles Convention Center hiessen Shantanu Narayen, der CEO von Adobe, und Scott Belsky, Chief Product Officer und Executive Vice President für die Creative Cloud, die erwartungsvolle Menge willkommen. «Accelerate your work. Liberate your creativity. Drive new mediums» war das Motto. Entsprechend waren die Präsentationen der Neuerungen in der Creative Cloud ausgerichtet. Unser aller Lieblingstools hatten leider nur kurze Auftritte. Dass InDesign nun endlich Kommentare und Korrekturen aus PDFs zurücklesen kann, wäre eigentlich eine Meldung wert gewesen. Genauso die neue automatische Anpassung von Layouts. Zu Illustrator gefielen die organischen Freihandverläufe und die einfache, dokumentübergreifende Bearbeitung von Gestaltungselementen.

Dank Project Aero sollen wir schon bald für Augmented Reality (AR) entwerfen können. Die Mobile-App kann mit AR-kompatiblen USDZ-Dateien umgehen, ein in Zusammenarbeit von Apple und Pixar entwickeltes Format. Die Integration mit Dimension und Photoshop ermöglicht das Platzieren und Animieren von überlagerten AR-Inhalten. Der Use Case von Adidas war interessant. Man darf gespannt sein, was die Community damit anstellen wird. Wie Kommunikationstheoretiker ­McLuhan schon sagte: «Das Medium ist die Botschaft.»

Mit Project Gemini kommt eine grandiose App leider etwas spät zur Party. Pinsel-Guru Kyle T. Webster malte zwar mit seinen digitalen Pinseln fast wie mit analogen, jedoch malen Digital Artists heute wohl längst mit einer anderen guten App.

XD hört auf uns

Als rasant wachsendes Programm bekam XD die verdiente Aufmerksamkeit. Neu kann XD durch Plug-ins erweitert werden – und das zurzeit kostenlos. Ein wichtiger Schritt, um auf Augenhöhe mit Platzhirsch Sketch App zu kommen. Erfreulicherweise war mit Personas auch eine Erweiterung am Start, die in Deutschland mit Schweizer Mithilfe entwickelt und gestaltet wurde.

Da immer mehr Hardware via Audio-­Interfaces gesteuert wird, macht es durchaus Sinn, dass XD-Prototypen eine Sprachsteuerung spendiert bekommen haben: ein tolles Feature, wenn auch vorerst nur in Englisch verfügbar.

Photoshop für iPad

Bereits im Sommer hatte Adobe angekündigt, seine wohl berühmteste Software für das iPad neu zu entwickeln, nicht bloss als abgespeckte Mobile-Version, sondern als vollwertiges Bildbearbeitungsprogramm. Die Demo war beeindruckend, jedoch dürften erfahrene Photoshop-Anwender deswegen nicht in Ekstase verfallen sein.

Eben noch tauschte man sich mit dem Sitznachbarn über Apples scheinbare Absenz am Event aus, da erschien Phil Schiller, der Marketingchef von Apple, bei Scott Belsky auf der Bühne und sprach über die fruchtbare Zusammenarbeit mit Adobe. Ende Oktober, wenige Tage nach der MAX, hat Apple dann in New York an der eigenen Keynote den Ball zurückgespielt. Auf dem neuen iPad Pro soll Photo­shop wie der Blitz unterwegs sein. Nach den halbherzigen Gehversuchen mit Photoshop Mix und Fix ist das nun vielleicht ein standhafterer Schritt.

Adobe Fonts

Vielen Kunden sei nicht bewusst gewesen, dass Typekit ein Bestandteil des CC-Abos ist. Darauf hat Adobe reagiert und den Namen angepasst. Eigene Schriftdesigns werden wie bisher unter der Typefoundry Adobe Originals vertrieben. Versprochen werden 15 000 Schriften mit besserer Desktopintegration und kaum mehr Plattformeinschränkungen. Dazu kommen unlimitierte Seitenaufrufe und eine ebensolche Synchronisation. Mir gefällt die Möglichkeit, ganze Schriftpakete auf einmal aktivieren zu können.

Der zweite Streich

In der General Session 2 am zweiten Tag ging es für einmal weniger um Produkte, sondern einzig um Menschen. Es gesellten sich Lilly Singh, Schauspielerin und Youtuberin, sowie Questlove, Produzent und Schlagzeuger von The Roots, zu Jason Levine (@Beatlejase) aufs Sofa. Nicht alle fanden Interesse am darauffolgenden Beitrag von Nicola Scott, der Zeichnerin von «Wonder Woman». Der preisgekrönte Regisseur und Schauspieler Ron Howard zog mit seiner Lebensgeschichte jedoch alle in seinen Bann. Ebenso gelang dies dem Fotografen von Weltformat, Albert Watson. Er machte «Double Exposures» manuell und lange bevor diese ein Photoshop-Trend wurden.

Blick hinter die Kulissen

Wie schon im letzten Jahr führte Senior Worldwide Evangelist Paul Trani (@paultrani) als Gastgeber der ­Sne­aks durch die ansonsten verschlossenen Adobe-Labors. Zur Freude Vieler im Saal war die Schauspielerin und Komikerin Tiffany Haddish (@TiffanyHaddish) zugegen. Folgende Sneaks haben Entwickler aus dem jeweiligen Team gleich selbst präsentiert:

#Brushbounty: durch Pinselstriche angewandte Animationen (mittels Adobe Sensei) in Illustrationen.

#ProjectSmoothoperator: automatisches Zentrieren/schneiden von Video, unabhängig von der Ausrichtung. Sujet bleibt dank Sensei stets im Fokus.

#Fantasticfold: ein Traum für Verpackungsdesigner im Zusammenspiel mit Dimension.

#ProjectWaltz: ein VR-Projekt, das eine interaktive Begehung von Objekten ermöglicht.

#FontPhoria: editierbare Glyphen aus Bild- oder Vektormaterial generieren. Lancierung stockt meines Wissens aus rechtlichen Gründen.

#ProjectFastmask: in AfterEffects ­automatisch maskierte, bewegte Personen oder Objekte.

#ProjectModelmorph­: mit Dimensioneinfach 3D-Modelle erstellen und anpassen.

#MovingStills: generiert aus Standbildern vermeintliche Bewegtbilder. (Ähnlichkeit mit der neuen 3D-Funktion bei Facebook).

#ProjectKazoo: wandelt eigene Stimmaufnahmen direkt in Musiknoten bzw. Instrumentenklänge um.

#ProjectGoodBones: Illustrator generiert ein Gerüst zur anatomisch korrekten Bearbeitung von Figuren.

Am Ende der Sneaks fand die legendäre Bash statt. Untypisch für amerikanische Verhältnisse war der Organisator mit der Menschenmenge heillos überfordert, was zu einigem Unmut führte. Der Auftritt des 5-fachen Grammy-Preisträgers Beck mitsamt Band machte den Ärger schnell vergessen.

Auf dem Areal rund um das Stadium des Los Angeles Football Club wurde exakt so lange gefeiert, wie es die 30-minütige Verlängerung nach der 45-minütigen Verspätung erlaubte – typisch amerikanisch.

Der Konferenzalltag

Die MAX ist werder für Früh- noch für Langschläfer: Die lehrreichen Sessions beginnen zum Teil noch vor acht Uhr und frühstücken wollen die Tausenden Besucher auch noch. Abends finden nicht selten Apéro- und Dinner-Partys von Herstellern oder spezifischen Themenbereichen innerhalb Adobe statt. Dieses Mal führten mich die Einsätze als Teachers Assistant mit den Speakern Mark Heaps (@lifebypixels) und Daniel Scott (@danlovesadobe) zusammen. Mark zeigte den Teilnehmern jeweils eindrücklich, wie mit Illustrators Aussehen-Bedienfeld tolle Typografie-Effekte erstellt werden können. Dan seinerseits hatte in Photoshop verschiedene Banner erstellt, die mittels Smart-Objekten und CC-Bibliotheken konsistent gestaltet wurden.

Fazit

Es gab einige Diskussionen, ob es passend war, kleine Änderungen wie das einfache Photoshop-Skalieren ohne Shift abzufeiern. Diese «Just Do It»-­Funktionen werden einfach erwartet. Man kann es jedoch auch positiv auslegen, wenn mit solcher Offenheit auf der grossen Bühne gesagt wird, dass viele User schon lange darauf warten und nun erhört wurden.

Obschon es in bewährten Designprogrammen sehr wohl spannende Neuerungen gäbe, lag der Fokus anderswo: Neuere Programme, Mobile Apps und das Trendthema Augmented Reality dominierten. Der Hersteller scheint mit seiner Mobile-First-Strategie auf die aufstrebenden Märkte in Entwicklungsländern zu setzen. Dort findet der Computereinstieg häufig mit Smartphones oder Tablets statt. Wie lange dies langjährige Publisher in den «gesättigten» Märkten im Westen mitspielen, wird sich zeigen.

In den Bereichen VR und AR liegt nach wie vor sehr viel Potenzial. Das hat auch Adobe erkannt und sich mit den besagten Tools entsprechend platziert. Im Vorjahr wurde anlässlich der Sneaks das Project Lincoln vorgestellt. Da hat sich genau gar nichts getan, was bedauerlich ist. Totgeschwiegen wurde auch Fuse, das seit Erscheinen im Beta-Status verharrt. Unter Zeit- und Budgetknappheit wäre es eine Chance, die Möglichkeiten der automatisierten, intelligenten Bearbeitung in den Alltag zu integrieren. Es muss ja nicht gleich AR und 3D sein. Viel Vergnügen beim schneller kreativ sein. ↑

Infos & Ressourcen

Weiterführende Links zu den im Artikel beleuchteten Themen:

Neuerungen in CC 2019

adobe.com/ch_de/creativecloud/features.html

Adobe MAX

max.adobe.com, twitter.com/adobemax

User Feedback

Illustrator.uservoice.com, InDesign.uservoice.com, adobeXD.uservoice.com

Adobe XD

TourDeXD.com

Project Aero

adobe.com/products/projectaero.html

Project Gemini

theblog.adobe.com/introducing-project-gemini

Joely Tafanalo ist Trainer und Designer. Toughmedia bietet Kommunikations- und Interaction­design sowie firmen­seitige Unterstützung im Umgang mit Adobe-Software. Die Publishing­-Erfahrung gibt er auch an staatlichen und privaten Schulen weiter. info@toughmedia.ch | @toughmedia